So mancher fragt sich vielleicht: Wie sieht er eigentlich aus – der väterliche Alltag in der Elternzeit? Ich schreibe das hier gerade mal auf. (Das „zirka“ vertuscht Schwankungen von bis zu 2 Stunden – außer beim Wecken, da simmer immer recht pünktlich...)
Ca. 5.30 Wecken Henri kniet – Hände an der Reling, Blick in die Ferne – in seinem Bett und beginnt ansatzlos das morgendliche Unterhaltungsprogramm: „Uuuaaahuuh! Öööööh. Babubadaa. Iiiiffze, umbeldörtz...“ And so on. Die Eltern sind nicht wach, aber sie stehen auf. Hobby-Zombies eben.
Ca. 6.00 Morgenwindel, Waschen, Anziehen Dabei Fortsetzung des Morgenradios. Jedes Mal wieder Proteste beim Anziehen des Bodys. Alles, was über den Kopf gezogen wird, ist Kindsfolter und ein Fall für Amnesty Childcare.
Ca. 6.30 Morgenkaffee Die Eltern – oder was von ihnen übrig ist – schlurfen mattblass in die Küche und schaffen es so gerade, nicht über ihre immensen Augenringe zu stolpern. Der Griff nach dem koffeinhaltigen Lebenselixier erfolgt bei allem Getattere präzise und gezielt. Bei Einsetzen der Wirkung erstes Gefühl in den Beinen und im Kopf. Derweil hat Henri das Küchenzirkeltraining – Schublade unter dem Herd auf- und zurappeln, Spielzeugeimer umkippen und den Inhalt auf dem Boden verteilen, Elternbeine anbeißen, Schranktür zuknallen – bereits zweimal durchlaufen.
Ca. 7.00 1. Fütterung Das Stillen durch die Mutter wird durch heftigeres Fußbeißen eingefordert.
Ca 7.30 Beginn der 1. Spielphase Mit Glück haben es die Eltern zwischendurch geschafft, irgend etwas Essbares einzuwerfen. Ansonsten: Pech. Interessante Spielzeuge: Alles, was die Großen benutzen (Fön, Zahnbürste, Haarbürste, Kleiderbürste). Uninteressante Spielzeuge: Alles, was die Großen eigens für den Kleinen gekauft haben. Wenigstens findet der Papa die Bauklötze toll.
Ca. 8.00 Abgang Mama So schwer der Abschied, so befreiend der Radweg ins Büro. Parallel konsequente Fortsetzung der Spielphase ohne Rücksicht auf Verluste. Mindestens drei Mal Kopf anstoßen sind Pflicht.
Ca. 9.00 Einläuten der 1. Schlafphase Häufiges Augenreiben, immer kürzere Konzentrationsphase, dementsprechend häufigeres Nölen bis Jammern – die Zeichen sind deutlich: Kind will schlafen. Papa bringt Kind ins Bett und legt sich dankbar daneben – zum Beispiel jetzt, um sein Blog in den Laptop zu hacken. (Aber ganz ehrlich: Daneben legen ist DER Tipp schlechthin. Die Kleinen schlafen dann länger – und Sie bekommen auch noch etwas Ruhe!)
Ca. 10.00 Aufwachen Freudige Begrüßung der Volksmasse durch den ausgeruhten Premier, würdevolles Winken in alle Himmelsrichtungen. Erörterungen zur Lage der Nation.
Ca. 10.30 2. Fütterung Alles was Sie bisher über die Gewöhnung von Kindern und fester Nahrung aneinander gehört haben STIMMT. Brei an den Händen, Brei im Haar, Brei im Gesicht, Brei an der Kleidung, Brei auf dem Boden, Brei auf dem Tisch. Und alle singen: „Brei-Brei Love. Brei-Brei Happiness.“ Manchmal frage ich mich, ob es an dieser breiten Streuung liegt, dass Henri mittlerweile ein ganzes Glas Babynahrung in einem Rutsch verzehrt bzw. vernichtet... Nach der Renovierung der Küche (wir überlegen, sie demnächst komplett orange zu streichen, Karotte isst er am liebsten) beginnt um
Ca. 11.00 Spielphase No. 2 (wie gehabt, siehe oben)
oder Ausritt No. 1 Henri bei Papa in den Baby-Carrier, Henri und Papa raus, im Supermarkt Regale ausräumen, ins Spielwarengeschäft, Teddys anbrüllen, auf den Markt. Gemüse ansabbern.
Ca. 12.30 Mittagswindel und 3. Fütterung Milch aus der Flasche ist eben immer ein bisschen wie Starbuck’s...
Ca. 13.00 3.Spielphase Papa holt die Bauklötze raus. Mit ausgestreckten Beinen sitze ich am Boden, rechts von mir die Bauklötze, links von mir Henri. Ich baue rechts einen Turm, Henri schaut neugierig bis gierig zu, dann kommt das säuglingsspezifische Zerstörungshormon zum Tragen, nichts hält ihn mehr, er MUSS da rüber, den Turm umschmeißen, und beginnt über meine Beine zu kraxeln. Kaum isser drüben und hat den Turm umgedeppert, beginne ich auf der anderen Seite meiner Beine, einen neuen Turm zu bauen, was er natürlich mitbekommt, und Hormone schlafen nicht... Ja, Sie schütteln den Kopf, aber ich sage Ihnen was: BEVOR wir dieses Spiel zum ersten Mal gemacht haben, konnte Henri nur ein wenig robben. JETZT krabbelt er nahezu rasant...
Ca. 14.00 Mama kommt nach Hause Großes, rauschendes Wiedersehensvolksfreudenfest, nach all den Stunden!
Ca. 14.30 2. Schlafphase Papa liegt (wie jetzt) im Bett neben dem Kinderbett und schreibt weiter an seinem Blog. Oder er ist in der Küche und bringt Babyschlösser an den Schubladen und Türen an bzw. wischt Brei-Flecken auf
Ca. 16.00 Nachmittagswindel und 4. Fütterung Wie heißt der Spruch noch? „Ihr sollt alle in der Hölle Karotten.“ Genau.
Ca. 16.30 4. Spielphase Welches verdammte Sch...pielzeug hatten wir denn heute noch nicht in den Fingern? Keines? Gut. Dann doch eher der 2. Ausritt – ab in den Spielzeugladen.
Ca. 17.30 Lagebesprechung Was essen die Großen? Das Frühstück – wenn es eines gab – ist bereits 9 Stunden her.
Ca. 18.30 Essen der Großen und 5. Fütterung Ab sofort sitzt der Premier mit am Tisch – der TRIPP-TRAPP (Babystuhl) ist da! Dazu bald mehr.
Ca. 19.00 Abendwindel, Umziehen fürs Bett
Ca. 19.30 Gute-Nacht-Programm Lieder, Bilderbücher oder auch – der HIT! – Tierstimmen aus dem Wald („Tierstimmen im Wald“ von Wolfgang Dreyer und Jean C. Roche, Verlag Franckh-Kosmos, Buch und CD, etwa 10 Euro). Man muss nur die Worte „Tiere im Wald“ aussprechen, und schon schaut sich Henri nach den Bären und Hirschen um.
Ca. 20.15 (jedenfalls meistens NACH der Tagesschau) Nachtbeginn Henri schläft. IST-ER-NICHT-SÜSS!
Ca. 20.30 bis 22.00 „Freizeit“ (Putzen, Geschirr wegräumen, E-Mails checken, mal aufs Klo gehen, Zähne putzen, sich ein bisschen was vorjammern, einen halben Film im Fernsehen anschauen...)
Ca. 22.00 The End Alles liegt und schnarcht. Bis sich Henri gegen Mitternacht zum ersten Mal wieder meldet...
So. Wenn ich jetzt noch mal einen der Kollegen (Arbeitszeit 9.30 bis 18.30, exklusive einer schönen, langen Mittagspause) darüber witzeln höre, was ich für ein „hart“ arbeitender Mann sei, höhö, komme ich mal mit Henri und einem Glas Karottenbrei vorbei!
Jens Clasen - 8. Aug, 16:30