1
Nov
2008

Days of Thunder

Willkommen.
Bevor es losgeht, möchte ich mich präventiv bei allen Zartbesaiteten und Klosterschülerinnen für die etwas drastische Wortwahl in diesem Eintrag entschuldigen. Aber harte Zeiten erfordern derbe sprachliche Maßnahmen.
Nun also steigen wir freudig gemeinsam hinab in die Kanalisation meiner Vaterfreuden, quasi in die Latrine meiner Elternzeit, und nähern uns deren absolutem Tiefpunkt.
Hat jeder eine Vorstellung davon, was ein Magen-Darm-Infekt ist?
Nun, ich darf wohl behaupten, dass es unklare Vorstellungen sind.
Alles beginnt in der Nacht zum vorherigen Mittwoch. Nachdem wir am Abend alle drei friedlich schnaufend zu Bett gegangen sind, werden wir Eltern um ein Uhr nachts von eigentümlichen Geräuschen aus Henris Bett geweckt. Zuerst ertönt ein kurzes Schluchzen oder eher Aufheulen.
Danach eine kurze Pause.
Wir setzen gerade zum elterlich-besorgten: "Ja, was hatter denn, der Kleine?" an, da ertönt der nächste Laut.
Er hört sich in etwa so an, als würde King Kong einen kleinen Elch auswringen: "Röööhrlppsch." Danach ein Klatschen.
Henri hat auf die Matratze gekotzt, und das nicht zu knapp.
Hektisches Gewusel und Gesuche von Lappen oder Lappenartigem im Eltern-Kind-Schlafzimmer. Aufwischen, Kind hochnehmen und trösten (wobei Kind schon wieder ganz fidel ist – was raus musste, ist raus, alles super, prima Action hier), Bettwäsche wechseln, Kind wieder ins Bett bringen, was das wohl war, vielleicht die eine Pommes bei Ikea, meinste, ja genau, Magen verdorben, armer Kerl, Licht aus, gute Nacht.
Denkste.
Der Elch singt weiter.
Henri kotzt die ganze Nacht.
Und den folgenden Tag.
Im Stehen, im Sitzen, im Liegen.
Ins Bett, auf dem Arm vor die Brust, auf den Boden.
Mama bleibt an diesem Tag zuhause, da Henri nichts mehr zu sich nimmt außer mütterlicher Milch (die allerdings bei Stillkindern in dieser Lage auch das Beste sein soll).
Mehrere Erwachsenen-Oberbekleidungsstücke, Bettwäsche-Sets und eine Jeans wandern an diesem Tag mit einer gehörigen Portion Bröckchen-Batik in die Wäsche.
Ich muss an dieser Stelle kurz sagen: Wir sind sehr dankbar.
Dankbar, dass der Durchfall erst einsetzt, NACHDEM die Kotzerei vorbei ist. Andere Eltern haben nicht so viel Glück.
Insofern ist der folgende Donnerstag eigentlich ein ganz guter Tag.
Ein ganz guter Tag, an dem Papa etwa stündlich Durchfall-Windeln wechselt, sich permanent ob des schlecht bzw. gar nicht essenden Filius sorgt (Mama ist wieder bei der Arbeit, und die Pulvermilch findet der kleine Mann eher so mittel), an dem auch Papa permanent mit einer unterschwellig brodelnden Übelkeit zu kämpfen hat, und an dessen Abend Papa der Mama sein Leid darüber klagt, wie Scheiße doch alles ist.
Nur wenige Stunden später wird er sich an diesen Zeitpunkt zurücksehnen, weil da alles noch so einigermaßen erträglich war.
Gegen zwei Uhr morgens werde ich wach. Ich weiß gar nicht mehr so genau wovon. War es
a) der Geruch von Henris wieder einmal feucht eingekäckter Windel?
b) das Stöhnen von Henris Mutter ("Boah, ich glaub ich muss kotzen")?
oder c) das Gefühl von in Salzsäure eingelegten Wackersteinen in meinem Magen?
Ist ja auch egal. Jedenfalls nimmt das Grauen seinen Anfang.
Das Virus hat nun auch uns Eltern in seinen schleimscheißigen Klauen, zieht alle Lebensenergie ab, Energie, die zur Betreuung eines noch dazu kranken Kleinstkindes unbedingt vonnöten ist.
Ich weiß nicht mehr, wie wir uns durch die folgenden Stunden geschleppt haben. Es ist eine Kakophonie des Brechreizes, ein verzweifelter Kampf um die einzige Toilette im Haushalt, eine konsequente Nahrungsverweigerung allenthalben, ein zähes sich Dahinschleppen von Sofa zu Sofa und ein permanentes Schielen auf die ewig trägen Zeiger der Uhr.
Irgendwann an diesem Tag bringen wir den schon wieder verteufelt gut paraten Henri dazu, zwei Stunden zu schlafen. Kaum dass ich keine Geräusche mehr aus dem Schlafzimmer vernehme, breche ich greinend unter einer so schnell wie möglich aus dem Schrank gezerrten alten Decke auf der Couch im Kinderzimmer zusammen. Im Traum würge ich Kilometer von schleimigen Würsten heraus und schleppe Kübel voll Scheiße von A nach B – also alles gar nicht so viel anders als im wirklichen Leben.
Als ich erwache, merke ich es zunächst gar nicht.
Es dauert etwa eine Viertelstunde, bis ich das Brummen und Blubbern in mir und um mich herum einigermaßen sortiert habe und mir sicher bin, dass ich nicht unter einer Schicht Wellblech in einer Trümmerlandschaft unserer von einem Monstervirus dahingerafften Zivilisation herumkrieche, sondern bei uns zuhause auf der Couch liege. Das infernalische Dröhnen in meinem linken Ohr fällt mir übrigens erst auf, als es sich in ein schrilles Pfeifen verwandelt, was zum Glück bald verschwindet.
Mein ganzer Körper ist kalt, kein Wunder, der Motor hat nix zum Verbrennen.
Zum ersten Mal seit scheinbar unendlich langer Zeit verspüre ich ein – wenn auch rein vernunftgesteuertes – Verlangen nach Essen.
Von da an geht es langsam besser.
Wir schleppen uns durch den Rest dieses braunen Freitags und fallen am Abend dankbarer als je zuvor ins Bett.
Henris erster fester Stuhl seit Tagen wurde heute früh gefeiert wie ein Geburtstag.
Heute Morgenkönnen wir schon wieder einigermaßen normal frühstücken.
Die Tage des Donners sind vorüber.
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